
Inhaltsverzeichnis:
Ich bin ein Kuckuckskind -
wie gehe ich damit um?
Du hast gerade erfahren, dass dein Vater nicht dein Vater ist?
Vielleicht weißt du es auch schon länger – oder du ahnst, dass in deiner Familie irgendetwas nicht stimmt?
Als meine Mutter mir damals einen Stapel Liebesbriefe in die Hand gedrückt hat mit den Worten: “Dein Onkel könnte dein Vater sein”, ist meine Welt plötzlich Kopf gestanden.
Gleichzeitig war ich erleichtert. Ich mochte die Vorstellung, dass er mein Vater sein könnte, weil ich mich schon immer mit ihm verbunden gefühlt habe.
Dass ich ein “Kuckuckskind” bin, habe ich allerdings erst viel später verstanden.
Nicht einmal, als mein vermeintlicher Onkel den Begriff “Kuckuckskind” damals so beiläufig erwähnte, habe ich verstanden, dass er vielleicht mich damit meint.
Lange habe ich nicht gewusst, wie ich damit umgehen sollte.
Wenn es dir auch so geht, dann solltest du das unbedingt wissen:
1. Was ist eigentlich ein Kuckuckskind?
Ein Kuckuckskind denkt, dass der Vater, mit dem es aufwächst, wirklich sein Vater ist. Aber irgendwann – oft viel später – stellt sich raus, dass er es nicht ist.
Manche können den Begriff “Kuckuckskind” nicht leiden. Laut Christoph Drösser “suggeriert er eine betrügerische Absicht der Mutter” und würde die Kinder stigmatisieren. Er möchte lieber von Kindern reden, deren biologischer Vater ein anderer ist als der Partner der Mutter. Aber ein besseres Wort hat er auch nicht parat.
Ich mag das Wort eigentlich schon. Aber natürlich ist mir klar, dass es nicht mehr als eine Metapher sein kann, um ein oder zwei Aspekte herauszugreifen. Andere Facetten aber werden außen vor gelassen oder sogar in ein falsches Licht gerückt.
Der Begriff Kuckuckskind kommt aus der Vogelwelt: Ein Kuckucksei wird ahnungslosen Eltern ins Nest geschmuggelt. Dort wird es dann von fremden Eltern (von einer ganz anderen Vogelart) aufgezogen ohne Wissen des Küken.
Aber bei Kuckuckskindern wissen die Mütter ja meist Bescheid. Sie verheimlichen mindestens dem Kind, oft auch dem angeblichen und dem tatsächlichen Vater, manchmal sogar dem gesamten Umfeld, wer der Erzeuger ist. Dieser Satz stammt übrigens von Journalistin Heike Le Ker, mit der ich ein Interview im Spiegel geführt habe.
2. Wie viele Kuckuckskinder gibt es?
Wie viele sind wir? Wo finde ich jemanden, der ähnliches erlebt hat wie ich? Diese Fragen bewegen uns – als Kuckuckskinder.
Man geht davon aus, dass eines von 100 Kindern nicht weiß, wer sein leiblicher Vater ist. Bei rund 790.000 Geburten pro Jahr wären das immerhin 7900 Kinder.
Gehen wir von der Vogelwelt aus, so sind es bis zu zehn Prozent der Küken, deren Vogelmütter “fremd gehen”. Bei den Menschen sind es jedoch rund ein bis zwei Prozent – und das in sehr unterschiedlichen Kulturkreisen.
- Belgische Studien von 2013 zeigen mithilfe genetischer Berechnungen und über die Arbeit mit Stammbäumen, wann genau und in welcher Familie ein Seitensprung stattgefunden hat. Die Stammbäume reichen bis in die Mitte des vergangenen Jahrtausends zurück. Um die biologische Vaterschaft bis weit in die Vergangenheit zu klären, nutzte das Team um den Belgier Maarten Larmuseau das Y-Chromosom, das Söhne unverändert von ihren Vätern erben und die von den Großvätern und so weiter. Das Ergebnis: Es waren gerade mal 0,9 Prozent pro Generation.
“Diese Männer haben DNA-Proben abgegeben und weil sie einen gemeinsamen männlichen Vorfahren hatten, sollten sie eigentlich dieselbe Variante des Y-Chromosoms besitzen. Ist das nicht so, gab es irgendwo im Stammbaum eine Vaterschaft außerhalb der Ehe”, so der belgische Forscher im Deutschlandfunk.
- Beim Stamm der Dogon in Mali haben andere geforscht. Hier kommt man auf eine Rate von 1,8 Prozent, obwohl die Stammbäume hier nicht schriftlich festgehalten werden und sich die Forscher auf mündliche Überlieferungen verlassen mussten.
- Andere Wissenschaftler sind in Südafrika, Italien und Spanien auf ähnlich geringe Zahlen gekommen: 0,9 und 1,2 Prozent außereheliche Kinder, die als eheliche ausgegeben wurden.
Das sind viele, aber doch sehr viel weniger als die zehn Prozent, mit denen Labore für Vaterschaftstests lange Zeit um ihre Kunden geworben haben. Woher kommt der Mythos?
Larmuseau: “Vaterschaftslabore finden vielleicht zehn Prozent Kuckuckskinder. Aber die werden ja auch von Vätern aufgesucht, die schon einen Verdacht haben. Insofern ist das nicht repräsentativ. Die zehn Prozent sind eine urbane Legende”.
Fazit:
Ein bis zwei Prozent der Kinder haben also einen anderen als den offiziell registrierten Vater.
3. Bin ich wirklich ein Kuckuckskind?
Alle Kuckuckskinder sind lange auf der Suche nach der Wahrheit und möchten genau wissen, wer ihr leiblicher Vater ist.
Es ist für sie oft nicht leicht, das herauszufinden und sie zerbrechen sich Tag und Nacht den Kopf darüber und möchten dieses Thema endlich mal für sich klären (um es abschließen zu können).
Vielleicht haben sie durch enge Angehörige oder Bekannte etwas erfahren. Oder sie haben schon von Kind auf eine leise Ahnung. Oft wagen sie nicht, bei der Mutter oder dem Vater genauer nachzufragen, aus Angst, dass das bestehende Familiensystem wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
Kuckuckskinder fühlen sich oft betrogen. Ihr Leben ist auf einer Lüge aufgebaut. Viele beschreiben das Störgefühl auch ihren Müttern gegenüber.
Oft behaupten diese aber immer wieder, dass die Wahrnehmung des Kindes nicht der Realität entspricht.
Das Kind lernt: ich liege falsch und kann meinen eigenen Gefühlen nicht trauen.
Spürst du auch dieses starke Verlangen und willst wissen, von dem du deine Eigenarten hast? Hast du das Gefühl, dass dir wichtige Puzzleteile in deinem “Gesamtbild Leben” fehlen?
Diese Anzeichen können helfen, mehr darüber herauszufinden, wer dein Vater wirklich ist:
- Auffällige äußerliche Unterschiede zum vermeintlichen Vater, wie z.B. Gesichtszüge, Augenfarbe, Haut- oder Haarfarbe.
- Geschwisterkinder sehen sich in keiner Weise ähnlich.
- Frühere Beziehungen der Mutter zu anderen Männern lassen Gerüchte und Verdachtsmomente aufkommen.
- Angehörige wie z.B. ältere Geschwister erzählen dir eine andere Geschichte.
- Die Mutter wird nervös, wenn es um Blutgruppenuntersuchungen oder sonstige Diagnoseverfahren des Kindes geht.
- Innere Gefühle wie “ich gehöre nicht dazu”, “jemand fehlt am Esstisch”, oder “ich bin ein Störfaktor”.
- Kaum eine Verbindung zum sozialen Vater vorhanden.
- Die Erklärungen der Eltern über deine Herkunft erscheinen dir unlogisch und überhaupt nicht stimmig, dein Gefühl sagt dir etwas anderes.
- Du fühlst dich zu deinem wahren Vater hingezogen, wenn du ihn auf Kindheitsfotos betrachtest oder dich an früher erinnerst, als du Kind warst.
- Erzählungen aus dem näheren Bekanntenkreis (häufig stammt der biologische Vater aus dem näheren Umfeld der Familie wie z.B. ein Nachbar, ein Kollege, Mitarbeiter auf dem Hof, Onkel oder enger Freund der Familie.)
- Ahnenforschung kann helfen, herauszufinden, wer dein Vater ist, auch wenn die Eltern bereits verstorben sind. Der DNA-Detektiv: Familiensuche per Speichelprobe | MDR.DE hilft auf der Spurensuche.
Alle diese Hinweise können natürlich keine vollständige Gewissheit liefern.
Ein DNA-Test allerdings würde mit 99,99999% Wahrscheinlichkeit die Vaterschaft bestätigen oder mit 100% Wahrscheinlichkeit entkräften können. Und damit hättest du es Schwarz auf Weiß.
Mein Vater und ich haben erst in diesem Jahr einen DNA-Test machen lassen und ich hätte nie gedacht, was das mit mir macht. Ich bin froh, dass ich mich doch noch dazu entschlossen habe, meinen Vater darum zu bitten. Denn das war für mich wie das Sahnehäubchen auf der Torte, nein – eigentlich noch mehr als das! Und das, obwohl ich das Thema vorher schon für mich geklärt hatte und innerlich Frieden gefunden habe.
Das, was ich schon immer tief in mir gefühlt hatte, hat sich mit dem positiven Testergebnis bestätigt.
Nicht immer gibt es ein Happy End und die Geschichten können sehr unterschiedlich weitergehen.
4. Welche Rechte habe ich als Kuckuckskind?
Immer wieder höre ich von Kuckuckskindern: “Mir geht es nicht ums Erbe, ich will einfach nur wissen, wer mein Vater ist.” Zu wissen, wer der Vater ist – das ist der größte Motor, der sie antreibt, einen rechtssicheren Vaterschaftstest machen zu lassen.
Dazu muss der zu untersuchende Vater einwilligen. Einen heimlichen Vaterschaftstest z.B. mit DNA-Material – wie Haare, Brille o.ä. – durchführen zu lassen, ist in Deutschland illegal, es droht ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro.
Grundsätzlich gilt: Der Mann, bei dem das Kind aufwächst bzw. der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, ist auch rechtlich gesehen der Vater. Egal ob er das Kind gezeugt hat, oder nicht. Er kommt für den Unterhalt des Kindes auf.
Das Recht eines Kindes, seine leiblichen Eltern zu kennen, kann man als Teil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts sehen und leitet sich aus Paragraf 1618a BGB ab. Nur schwerwiegende Gründe können die Mutter in diesem Fall zum Schweigen berechtigen.
Das Kind kann also:
- Auskunft von der Mutter verlangen
- eine Abstammungsklärung fordern
- die Abstammungsklärung gerichtlich durchsetzen (sollte sich jemand gegen die freiwillige Abstammungsklärung (Vaterschaftest) weigern)
- Vaterschaft anfechten nach Paragraf 1600 BGB (sofern ein guter Grund vorliegt) –
Achtung Frist:
Eine Anfechtung der Vaterschaft ist allerdings nur möglich, wenn der Antrag innerhalb von 2 Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller durch bestimmte Umstände begründete Zweifel an der Vaterschaft bekommen hat, bei Gericht eingereicht wird. Eine Ausnahme gilt nur für das betroffene Kind, bei dem die Zweijahresfrist erst ab Eintritt der Volljährigkeit zu laufen beginnt.
Das solltest du wissen:
Durch eine Vaterschaftsaberkennung verliert das Kind …
- das Rechtsverhältnis zum Vater rückwirkend bis zur Geburt
- das gesetzliche Erbrecht gegenüber dem Vater
- Unterhaltsansprüche gegenüber dem Vater mit sofortiger Wirkung
Wahrscheinlich denkst du jetzt gerade: Puhh – das ist ja alles gar nicht so einfach. Stimmt!
Die Psychologin und Rechtsberaterin, Anja Paulmann, stellt fest:
“Die meisten [Mütter] sagen, sie wollten ihr Kind schützen, und das mag zu einem gewissen Grad auch stimmen. In vielen Fällen geht es aber darum, die Konsequenzen des eigenen Handelns nicht tragen zu wollen. Die Mütter wollen den Bruch mit dem Partner nicht riskieren oder das Bild der heilen Familie wahren. Es ist ein Persönlichkeitsrecht, die eigene Abstammung zu kennen, aber der Staat legt die Priorität nicht auf das Kindeswohl. Mich erschreckt die emotionale Brutalität, mit der Erwachsene darüber entscheiden können, dass ihr Kind mit einer Lüge aufwächst.”
5. Weiterführende Links und Anlaufstellen für Kuckuckskinder
Du suchst Kontakt zu anderen Kuckuckskindern?
- In dieser öffentlichen Facebookgruppe findest du Menschen mit einer ähnlichen Geschichte wie du, interessante Artikel und Filmempfehlungen zum Thema “Kuckuckskind”, Angebote von Selbsthilfegruppen für Kuckuckskinder und Kuckuckseltern.
- Digitale Selbsthilfegruppe „Kuckucksnest“ (bei Interesse: hier bewerben)
Weitere Möglichkeiten, die dich auf deinem Weg zur Heilung unterstützen können:
- Familientherapie
- Psychotherapie
- Coaching
- Ein guter Freund/ gute Freundin, Partner/in, Mentor können eine große Unterstützung sein.
- Väterliche Vorbilder, die zeigen, wie ein Vater sein kann – v.a. bei Themen wie abwesender Vater, Vaterentbehrung
Filmtipps:
- Bella Germania – ZDFmediathek
- Der DNA-Detektiv: Familiensuche per Speichelprobe | MDR.DE
- Stories We Tell ( deutsch)
Audiotipps:
- Tabubruch · Ich bin ein Kuckuckskind · Podcast in der ARD Audiothek
- Von der Mutter ein Leben lang belogen – Samuel Künzle · Podcast in der ARD Audiothek
Buchtipps:
Artikel zum Lesen:
6. Fazit: Den eigenen Weg finden und glücklich werden
Diese drei Dinge möchte ich dir noch mit auf deinen Weg geben:
- Es hat nichts mit dir zu tun, dass der Vater sich nicht meldet oder du betrogen worden bist! Woher du kommst bestimmt nicht, wohin du gehst!
- Du kannst deine Geschichte neu schreiben und musst diesen Weg nicht alleine gehen!
- Und vergiss nicht: Da ist jemand, der dich wollte. Du bist geliebt und es ist gut und wichtig, dass du da bist!

Luise Scholz
Luise Scholz, 56, hat mit Ende 20 erfahren, dass ihr Ziehvater nicht ihr leiblicher Vater ist. Sie hat sich daraufhin intensiv mit dem Thema befasst und berät als Coach Kuckuckskinder.